Kommentar EWS-Präsident Dr. Ingo Friedrich, 23. März 2021
Die weltgeschichtliche Erfahrung lehrt, dass es in zwei Drittel aller Fälle, in denen eine neu aufstrebende Macht eine bisherige Macht vom 1. Platz verdrängen wollte, zu verheerenden Kriegen kam. Die Historiker bezeichnen dieses Phänomen als „Thukydische Falle“, die zum ersten Mal beim Aufstieg Spartas gegen Athen zugeschlagen hat, mit schlimmen Auswirkungen für das damalige Griechenland. Das darf natürlich in der aktuellen Situation im Verhältnis China zu USA auf gar keinen Fall passieren. Und Europa darf hier nicht als „Weltkind in der Mitten” tatenlos zuschauen, sondern muss eine eigene globale Strategie entwickeln, die eine für die ganze Welt verheerende Konfrontation der alten gegen die neue Supermacht verhindert und gleichzeitig garantiert, dass der abendländisch-westliche, also der europäische „way of life“ nicht durch eine „asiatisch-autokratische“ Regierungswirklichkeit verdrängt wird.
Welche „guidelines“ für eine solche Strategie zeichnen sich ab: Eine enge Kooperation zwischen Amerika und Europa bildet naturgemäß die erste und zentrale Voraussetzung und Grundlage jeglicher strategischen Erörterung. Aber diese Kooperation reicht angesichts der Dramatik der akuten Konfrontation bei weitem nicht aus. Die entscheidende Frage lautet: „Wie kann China mit friedlichen Mitteln so eingehegt und dazu gebracht werden, dass es seinen - wichtigen - Platz ohne weitere Aggressionen (Taiwan, Hongkong, chinesisches Meer) in einer klein gewordenen Welt einnimmt und akzeptiert.“ Zur Erreichung dieser Zielsetzung braucht es eine Erweiterung der europäisch-amerikanischen Kooperation und hier kommt Russland ins Spiel! Erst und nur eine große globale Zusammenfassung der Potentiale von USA, Europa und von Russland kann jene Wirkung entfalten, die zur erstrebten Stabilisierung zwischen den Supermächten führen kann. Einer solchen Konstellation gegenüber würde sich China ganz anders verhalten als bisher, nämlich (gezwungenermaßen) rücksichtsvoller, regelkonform und kooperativ.
Aber die entscheidende Frage ist natürlich, unter welchen Bedingungen Russland in dieses - westliche- Boot geholt werden kann, zumal die andere Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich Russland der chinesisch-autokratischen Seite annähert. Zur Klärung dieser Fragen sollte eine große „Aussöhnungskonferenz“ zwischen dem „bisherigen Westen“ und Russland einberufen werden, einer Konferenz bei der alle Streitfragen auf den Tisch kommen: Krim, Ukrainekonflikt, politische Morde, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit und vieles andere mehr. Eine solche Konferenz müsste diplomatisch akribisch und umfassend vorbereitet werden. Aber am Ende könnte auf breiter Front eine schrittweise Annäherung Russlands an die westliche Welt stehen. Ganz sicher würden viele Bürger Russlands eine solche Entwicklung begeistert begrüßen und auch Putin könnte ruhiger auf seinem Sessel sitzen.